Geister im Mittelalter

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Joshua J. Mark
von , übersetzt von Marina Wrackmeyer
veröffentlicht am
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Die mittelalterliche Kirche prägte die religiöse Vorstellungswelt der Menschen im Mittelalter (ca. 476–1500), und die Welt wurde daher – selbst von heterodoxen Christen – durch die Perspektive der Kirche interpretiert. Geister oder Wiedergänger bildeten keine Ausnahme, da die Kirche solche Erscheinungen als Seelen im Fegefeuer definierte, die des menschlichen Eingreifens bedürfen, um ewigen Frieden zu finden.

Im frühen Mittelalter (ca. 476–1000) gab es keinen Konsens über die Bedeutung von Geistererscheinungen, da man gemäß der biblischen Aufforderung, „alle Geister zu prüfen“, eine solche Erscheinung gewöhnlich für einen Dämon hielt. Als die Kirche jedoch begann, die Realität des Fegefeuers zu betonen, gewann das Konzept des Geistes als Seele im Fegefeuer an Boden.

Purgatory
Fegefeuer
Petrusbarbygere (Public Domain)

Am ehesten kehrten die Seelen zurück, um die Lebenden heimzusuchen, deren Begräbnisrituale nicht korrekt durchgeführt wurden oder die eine unerledigte Angelegenheit hatten, die abgeschlossen werden musste: Selbstmörder, Frauen, die bei der Geburt starben, oder Menschen, die plötzlich und tragisch starben, ohne Zeit für Beichte und Absolution. Ein weiterer Grund, der oft damit zusammenhing, war das Bedürfnis der Lebenden, sich angemessen zu verabschieden und die Verstorbenen gehen zu lassen. Es entwickelten sich aufwendige Rituale, die es den Lebenden ermöglichten, mit dem Verlust des Todes fertig zu werden, ihre Erinnerungen an den Toten loszulassen, um einen Geist zur Ruhe zu bringen und mit dem Leben fortzufahren.

Geister in der antiken Welt

Im frühen Mittelalter distanzierte sich die Kirche vom Konzept der Geister, wie es das heidnische Rom verstand – als körperlose Geister der Toten – und interpretierte sie als dämonische Wesen. Der biblische Brief Johannes 4, 1–3 warnt die Gläubigen davor, dass nicht jeder Geist „von Gott“ ist und dass er sorgfältig auf dämonischen Ursprung geprüft werden sollte. Wenn eine Erscheinung in der Gestalt eines verstorbenen geliebten Menschen auftritt, handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Dämon, der diese Gestalt annimmt, um den Menschen zu verdammen, indem er ihn dazu verleitet, Gottes Plan in Frage zu stellen.

Die Kirche lehrte, dass Gott die äußerste Kontrolle über jeden Aspekt des Lebens eines Menschen hatte und dass es nach dem Tod für jede Seele einen Platz im Jenseits gab – im Himmel, in der Hölle und schließlich im Fegefeuer dazwischen – genauso wie in der sozialen Hierarchie des Lebens. Ein Geist bedrohte dieses Verständnis, weil er nicht nur fehl am Platz war, sondern auch dorthin zurückgekehrt war, wo er nicht mehr hingehörte. Wenn Gott tatsächlich die Kontrolle hatte, wie konnte dann ein Geist den ihm zugewiesenen Platz im Jenseits verlassen und zu den Lebenden zurückkehren? Die Antwort lautete in Anlehnung an Johannes 4, dass es sich bei der Erscheinung nicht um einen „Geist“, sondern um einen getarnten Dämon handelte.

Die Kirche musste sich vom heidnischen Verständnis der Geister distanzieren, wie sie es auch mit allen anderen Aspekten heidnischen Denkens tat.

Vor dem Aufkommen des Christentums wurden Geister als ein natürlicher – wenn auch unangenehmer und unerwünschter – Aspekt der menschlichen Existenz verstanden. Die heidnischen Glaubenssysteme hielten an demselben Verständnis von Geistern fest, das die Kirche schließlich übernehmen sollte – dass nämlich die Geister der Toten zurückkehren konnten, um die Lebenden um Hilfe bei der Erledigung unerledigter Angelegenheiten zu bitten, um die Lebenden für unvollständige oder unangemessene Bestattungsriten zu bestrafen oder weil ein bestimmter Aspekt ihres Todes sie verunsichert hatte –, doch wurde dieses Konzept von der mittelalterlichen Kirche zunächst abgelehnt.

Im alten Ägypten konnten die Menschen Briefe an Verstorbene schreiben, in denen sie Probleme ansprachen, die von der Frage, warum der Schreiber verfolgt wurde oder Unglück erlebte, bis hin zur Frage, wohin ein wertvolles Artefakt oder Dokument verlegt worden war, reichten. In Griechenland hing der Fortbestand der Toten von der Erinnerung der Lebenden ab, die in Denkmälern und Ritualen zum Ausdruck kam. Je lebendiger die Erinnerung war, desto lebendiger war der Geist im Jenseits. Dieses Paradigma wurde auch so von den Römern verstanden und beachtet, und sie entwickelten Verbände, in die ein Bürger nach seinem Tod einzahlte, um die ordnungsgemäßen Bestattungsriten und das Fortbestehen des Gedenkens zu gewährleisten. In allen drei Glaubenssystemen war eine Erscheinung ein Zeichen dafür, dass die Seele des Verstorbenen nicht in Frieden ruhte und dass die Lebenden etwas unternehmen mussten.

Die Kirche musste sich von diesem Verständnis ebenso distanzieren wie von allen anderen Aspekten des heidnischen Denkens, um ihre Botschaft völlig neu zu gestalten. Geister wurden ebenso verteufelt wie Frauen, Katzen, Körperpflege und alles andere, was Heiden schätzten.

Das Fegefeuer

Die Auffassung der Kirche änderte sich im 11. und 12. Jahrhundert mit der Entwicklung des Konzepts des Fegefeuers. Die Vorstellung vom Fegefeuer wird erstmals von Platon (ca. 428/427 – 348/347 v. Chr.) in seinem Dialog Phaidros (107c–108d) geäußert, in dem er die Seelen beschreibt, die die Last ihrer Sünden tragen – nicht schlecht genug, um in die unterste Ebene der Unterwelt, den Tartaros, verurteilt zu werden, aber auch nicht gut genug für das Paradies der Elysium-Felder – und in Strömen gefangen sind, die sie umherwirbeln, bis sie von ihren Verfehlungen gereinigt sind. Platon, der von der Kirche als einer der „rechtschaffenen Heiden“ betrachtet wurde, lieferte dem Christentum viele seiner grundlegenden Dogmen, aber das Konzept des Fegefeuers wurde erst im Hochmittelalter (1000–1300) voll entwickelt und als spirituelle Realität akzeptiert.

Das Fegefeuer wurde in der Volksvorstellung durch die mittelalterliche Folklore verankert, insbesondere durch das als Wilde Jagd bekannte Motiv, eine Vision der Verstorbenen, von der man annahm, dass sie jedem, der sie sah, den Tod oder schweres Unglück brachte, und die auch die Existenz eines Bereichs außerhalb von Himmel und Hölle begründete, in dem die Toten erscheinen konnten. Die Wilde Jagd hat ihren Ursprung in Skandinavien und wurde mit Odin und seinen Kriegern in Walhalla in Verbindung gebracht. Die typische Geschichte handelt von einem unschuldigen Zuschauer, der eine geisterhafte Jagdgesellschaft oder eine Gruppe bewaffneter Männer sieht, die von Odin angeführt werden oder mit ihm in Verbindung stehen, und die plötzlich mit Lärm und Geräuschen gleich den Lebenden auftauchen, um ebenso schnell wieder lautlos zu verschwinden.

Wild Hunt
Wilde Jagd
Nasjonalmuseet / Lathion, Jacques (CC BY-NC-SA)

Das heidnisch-nordische Motiv wurde im christlichen Europa weiterentwickelt, um christliche Ideale und vor allem das Konzept des Fegefeuers widerzuspiegeln. Die berühmteste Geschichte dieser Art ist die wilde Jagd der Herlekin-Leute, die der anglonormannische Historiker Ordericus Vitalis (ca. 1075–1142) in seiner Historia Ecclesiastica aufzeichnete. Es ist wichtig zu erwähnen, dass Vitalis, ein angesehener Historiker, der auch heute noch zuverlässig zitiert wird, die Vision nicht als Volksmärchen oder Hörensagen aufzeichnet, sondern als ein tatsächliches historisches Ereignis, das er sogar fest auf den 1. Januar 1091 datiert.

Vitalis schreibt, dass ein normannischer Pfarrer namens Walchelin in dieser Nacht ausging, um ein krankes Gemeindemitglied am Rande der Stadt zu besuchen. Auf dem Heimweg, bei Vollmond, hörte er plötzlich das Geräusch einer großen Ansammlung von Männern und Pferden. Da er dachte, es handele sich um Raubritter bei einem nächtlichen Überfall, wollte er in die Bäume laufen, um sich zu verstecken, wurde aber von einem großen Ritter mit einem Streitkolben aufgehalten, der ihm befahl, still zu stehen und zu beobachten. Im Licht des Vollmonds sah Walchelin, wie eine seltsame Prozession erschien und an ihm vorbeizog. Vitalis schreibt:

Eine große Schar von Fußgängern erschien, die auf ihren Hälsen und Schultern Tiere und Kleider und alle Arten von Möbelstücken und Haushaltswaren trugen, die Räuber gewöhnlich als Beute ergreifen. Aber alle klagten bitterlich und drängten sich gegenseitig zur Eile. Der Priester erkannte unter ihnen viele seiner Nachbarn, die vor kurzem gestorben waren, und hörte, wie sie die Qualen beklagten, die sie wegen ihrer Sünden erlitten hatten ... ein Unglücklicher, der straff gefesselt war, wurde von einem Dämon mit glühenden Sporen angetrieben. Als nächstes kam eine Gruppe von Frauen, die im Damensattel auf Sitzen ritten, die mit brennenden Nägeln beschlagen waren. Wegen der Verführungen und obszönen Freuden, denen sie sich auf Erden hemmungslos hingegeben hatten, ertrugen sie nun das Feuer, den Gestank und andere Qualen, die nicht aufzuzählen sind, und gaben ihren Leiden mit lautem Wehklagen Ausdruck. Der Priester erkannte eine Reihe edler Frauen in dieser Schar und sah auch die Pferde und Maultiere mit leeren Frauensänften, die zu vielen gehörten, die noch am Leben waren. (Brooke, 147–148)

Der große Ritter verließ schließlich den Priester, um sich der Prozession anzuschließen, und danach versuchte Walchelin, eines der Gespensterpferde zu nehmen, um es seiner Gemeinde als Beweis für das Gesehene zu bringen. Er wurde von einer Gruppe von Rittern aufgehalten, die versuchten, ihn in die Prozession zu zwingen, aber er wurde von einem anderen Ritter gerettet, der sich als Wilhelm von Glos, Sohn von Barnon, zu erkennen gab und Walchelin bat, zu seiner Familie zu gehen und das Unrecht wiedergutzumachen, das ihn jetzt quälte. Walchelin weigerte sich, den Auftrag anzunehmen, und der Geist Wilhelms packte ihn an der Kehle, um ihn zum Einlenken zu zwingen, wurde aber von einem anderen Ritter aufgehalten.

Das Konzept des Fegefeuers veränderte das Verständnis von Geistern als dämonischen Wesen zu Geistern, die Hilfe benötigen.

Dieser neue Ritter vertrieb den wütenden Geist und gab sich als der Geist von Walchelins totem Bruder Robert zu erkennen. Robert lieferte verschiedene Details, die bewiesen, dass er derjenige war, der er vorgab zu sein, und warnte Walchelin, dass er bei der Prozession mitgenommen worden wäre, weil er versucht hatte, das Pferd der Toten zu stehlen, aber die Messe, die er an diesem Tag gehalten hatte, war so gottgefällig gewesen, dass er verschont würde. Robert mahnte Walchelin, seine Sünden vor dem Tod zu bereuen, und bat um Gebete, um ihn von der Prozession zu befreien, bevor er zu der langen Reihe der Toten zurückkehrte, und an diesem Punkt verschwand die gesamte Versammlung.

Walchelin kehrte nach Hause zurück und lag eine Woche lang krank, bevor er wieder sprechen und sich bewegen konnte. Selbst nach seiner Genesung trug er noch die Narbe am Hals, wo ihn die glühende Hand des Geistes von Wilhelm von Glos gepackt hatte. Laut Vitalis hat Walchelin selbst ihm die Geschichte in allen Einzelheiten erzählt.

Diese Version der Wilden Jagd ist die vollständigste Vorstellung von einer Existenz im Fegefeuer und enthält alle Elemente, die später weiter entwickelt wurden: die Bestrafung für die Sünde und die Qualen des Sünders, die Verurteilung der Seele im Fegefeuer, die durch die Gebete der Lebenden beeinflusst wird, und die Hoffnung auf Erlösung und den Aufstieg in den Himmel, sobald man für seine Sünden gebüßt hat. Dieses Konzept veränderte das Verständnis von Geistern von dämonischen Wesen zu Geistern, die Hilfe benötigen. Das Problem, wie Gott es zulassen konnte, dass Geister auf die Erde zurückkehren, wurde dadurch gelöst, dass Gott den Lebenden die Möglichkeit gab, sich an der Erlösung zu beteiligen, indem er den Seelen der Verstorbenen half, Unrecht wiedergutzumachen.

Geistergeschichten und Typen

Geistergeschichten wurden meist in Form von Anekdoten und Volkserzählungen dargestellt, aber auch seriöse Historiker wie Vitalis zeichneten sie als tatsächliche Ereignisse auf, die in jedem Leben zu jener Zeit vorkamen. Der Historiker William of Newburgh (ca. 1136–1198) berichtete über eine Reihe dieser Geschichten und behauptete, wenn er sich ganz der Aufzeichnung von Geistergeschichten widmen würde, würde seine Arbeit niemals enden, da sie so häufig vorkämen. Seine bekanntesten Berichte handeln von Geistern, die in der Nähe von Byland Abbey in North Yorkshire, England, auftauchen. Sie alle folgen dem bekannten Muster einer leidenden Erscheinung, die sich einer Person zeigt und um Hilfe bittet und sich zur Ruhe legt, sobald diese Hilfe geleistet wird.

Diese Geister werden manchmal in der bekannten Form von Gespenstern dargestellt, wie ein blasses Tuch oder ein Segel mit vagen menschlichen Umrissen, die in der Luft schweben, aber häufiger werden sie als wandelnde Tote im Sinne der nordischen Vorstellung beschrieben. Im nordischen Glauben gab es zwei Arten von Geistern – Haugbui und Draugr. Der Haugbui war harmlos, solange sein Grab nicht gestört wurde, während der Draugr ein bösartiger Geist war, der in der Nacht umherwanderte, Eigentum zerstörte und Menschen und Tiere tötete.

Gudrun & Ghost, Laxdale Saga
Guðrún und Geist, Laxdæla saga
Andreas Bloch (1860-1917) (Public Domain)

William of Newburgh erzählt eine Reihe von Geschichten, in denen beide Arten von Geistern vorkommen, sowie andere, in denen es um Geistererscheinungen geht, wobei der Draugr am häufigsten vorkommt. Eine dieser Geschichten handelt vom Geist eines Mannes namens Robert Botelby aus Kilburn, der gestorben und auf dem Friedhof von Byland Abbey begraben war. Der Wiedergänger lief nachts durch die Stadt, gefolgt von knurrenden, bellenden Hunden, störte die Menschen in ihrem Schlaf und verursachte andere Probleme. Schließlich wurde er von einigen jungen Männern aufgegriffen, die ihn in die Kirche brachten, wo der Priester den Geist aufforderte, zu sprechen und seine Sünden zu bekennen. Nach der Beichte und der Absolution ruhte der Geist friedlich und die Bewohner der Stadt wurden nicht mehr behelligt.

In einer anderen Geschichte wurde eine Witwe wiederholt von der wandelnden Leiche ihres kürzlich verstorbenen Mannes heimgesucht. Drei Nächte hintereinander erschien der Geist in ihrem Schlafzimmer und versuchte, mit ihr Sex zu haben. Als sie ihn zurückwies, wanderte er hinaus und in die Häuser der Nachbarn und verursachte weitere Probleme. Niemand konnte etwas gegen ihn unternehmen, und mit der Zeit tauchte er zu jeder Tageszeit auf, bis ihm schließlich der Bischof die Absolution für seine Sünden erteilte und der Spuk aufhörte.

Diese Geschichten unterscheiden sich deutlich von denen in den nordischen Sagen, in denen ein Held wie Grettir der Starke den lästigen Draugr physisch besiegen und wieder töten muss, oder in denen skandinavische Städter einen Geist fangen, ihn enthaupten und die Leiche verbrennen (obwohl einige Geschichten dieser Art in Williams Werk vorkommen). In den meisten Geistergeschichten des christlichen Mittelalters sind Worte die wirksamste Waffe gegen oder Hilfe für Geister. Der christliche Klerus wurde nun zu den heldenhaften Figuren, die den Draugr besiegten oder die leidende Seele erleichterten, indem sie die Absolution erteilten und sie der Barmherzigkeit Gottes überließen.

Erinnerung und Befreiung

Ein Teil dieser Hingabe hatte damit zu tun, dass man sich dem Gedächtnis der Lebenden widmete. Die Einsicht, dass die Toten in den Erinnerungen der Menschen weiterleben, war im Mittelalter ebenso stark wie in der Antike und auch heute noch. Die Menschen brauchten ein Mittel, mit dem sie ihre verstorbenen Angehörigen ehren, trauern und loslassen konnten.

Diesem Bedürfnis entsprach die kirchliche Chantry-Bewegung, bei der man einen bestimmten Geldbetrag in eine Art Treuhandfonds einzahlte, aus dem ein Chantry-Priester finanziert wurde, der nach dem Tod eine Messe für die Seele des Verstorbenen abhielt. Diese Messen sollten dazu beitragen, die Seele im Fegefeuer zu erleichtern und die Zeit zu verkürzen, die man dort verbringen musste. Die Kirche führte auch den Verkauf von Ablassbriefen ein, die für eine bestimmte Summe eine Verkürzung der Zeit im Fegefeuer versprachen, so dass die Hinterbliebenen sicher sein konnten, dass ihre Angehörigen nach möglichst kurzer Zeit des Leidens ins Paradies kommen würden.

The Devil Selling Indulgences
Der Teufel verkauft Ablassbriefe
Packare (Public Domain)

Denkmäler mit dem eingravierten Namen des Verstorbenen, Bücher und Rituale, die als Memoria bekannt sind, Kirchengebäude, die zu Ehren der Verstorbenen errichtet wurden, und kirchliche Liturgien dienten dazu, die trauernde Familie von der Last der Erinnerung zu befreien, damit sie ihr Leben weiterführen und die Vergangenheit hinter sich lassen konnte. Der Wissenschaftler Jean-Claude Schmitt kommentiert:

Die Memoria war ein liturgisches Gedenken, das durch die Eintragung der Namen der Toten, die es wert waren, dass man ihrer gedachte, in Libri memoriales, Nekrologien und Nachrufe von Klöstern und Konventen verstärkt wurde. Das liturgische Memento wurde vor allem bei den Messen für das Seelenheil des Verstorbenen rezitiert... Aber das Wort „Gedenken“ ist eigentlich irreführend, denn das Ziel der Memoria war es, den Lebenden zu helfen, sich von den Toten zu trennen, ihren Aufenthalt im Fegefeuer zu verkürzen und schließlich den Lebenden zu ermöglichen, die Verstorbenen zu vergessen. (5)

Man konnte seine verstorbenen Angehörigen nicht vergessen, solange man sich Sorgen um ihre mögliche Rückkehr machte oder durch die Sorge um den Zustand ihrer Seele im Fegefeuer abgelenkt war. Die Kirche stellte die Mittel zur Verfügung, mit denen man den geliebten Menschen ehren, sich seiner Erlösung und seiner reduzierten Strafe im Fegefeuer sicher sein und sein Leben unbelastet von Schuldgefühlen, Trauer oder Angst weiterführen konnte.

Fazit

Unglücklicherweise wurden die guten Absichten, die die Kirche anfangs mit der Bereitstellung dieser Dienste verfolgte, ziemlich schnell durch Korruption und Gier zunichte gemacht. Als die Kirche im Laufe des Mittelalters immer korrupter wurde, wurden Missbräuche wie der Ablasshandel immer häufiger. Das Konzept des Fegefeuers, wie es sich die mittelalterliche Kirche vorstellte, taucht nirgendwo in der Bibel auf, obwohl Christen auch heute noch bestimmte Passagen aus dem Ersten Korintherbrief, dem Ersten Petrusbrief, dem Matthäusevangelium und anderen Schriften so auslegen, dass sie es unterstützen. Niemand in der heutigen Zeit würde jedoch für den spirituellen Wert des Ablasshandels argumentieren, mit dem die Kirche enorme Geldsummen verdiente. Tatsächlich war der Ablasshandel der Hauptstreitpunkt zwischen Martin Luther (1483–1546) und der Kirche zu Beginn der Reformation.

Jean-Claude Schmitt stellt fest, dass „die Toten keine andere Existenz haben als die, die sich die Lebenden für sie vorstellen“ (1). Jede Kultur, die je existiert hat, hat das Leben nach dem Tod und die Seele im Rahmen ihres religiösen Verständnisses interpretiert, und das war im mittelalterlichen Europa nicht anders als im alten Rom oder in der heutigen Zeit. Bei dem Versuch, Geister zu erklären, führte die mittelalterliche Kirche eine Politik ein, die, auch wenn sie anfangs gut gemeint war, der einfachen menschlichen Gier und Ausbeutung zum Opfer fiel.

Die Enttäuschung vieler Menschen über die Kirche nach der protestantischen Reformation erstreckte sich auch auf ihre Interpretation von Geistern und der Existenz des Fegefeuers. Zur Zeit der Renaissance wurden Geister wieder in erster Linie als dämonische Betrüger angesehen, die sich als verstorbene Angehörige ausgaben (wie es insbesondere in Shakespeares Hamlet II.ii.610–611 erwähnt wird). In der Zeit der Aufklärung, als der Teufel und die Hölle von Schriftstellern, Theologen und Philosophen weniger ernst genommen wurden, wurden Geister zu Standardfiguren in Theaterstücken und warnenden Erzählungen, die zwar immer noch in der Lage waren, das Publikum zu erschrecken, aber größtenteils als harmlose Fiktion angesehen wurden, wie viele sie auch heute betrachten.

Fragen und Antworten

Glaubten die Menschen im Mittelalter an Geister?

Im europäischen Mittelalter wurden Geister zunächst als Dämonen und später als hilfsbedürftige Seelen von Verstorbenen verstanden, aber so oder so glaubten die Menschen an Geister als eine Realität des Lebens.

Wie sollte der Kauf eines mittelalterlichen Ablassbriefes einem Geist helfen?

Der mittelalterliche Ablassbrief, der von der Kirche verkauft wurde, sollte den Aufenthalt einer Seele im Fegefeuer verkürzen. Der Kauf eines Ablassbriefes sollte einen ruhelosen Geist besänftigen und einen Spuk beenden oder verhindern.

Welche Form hatten Geister im Mittelalter?

In mittelalterlichen Dokumenten werden Geister als diffuse Tücher oder Segel in menschlicher Gestalt oder als erkennbare Personen dargestellt.

Wie konnten die Menschen im Mittelalter den Spuk beenden?

Im Mittelalter wurde der Spuk durch die Fürsprache von Priestern gestoppt, die den Geist segneten, ihm die Beichte abnahmen, für den Geist beteten oder sich auf andere Weise seiner Bedürfnisse annahmen und ihn dorthin zurückschickten, wo er hingehörte.

Übersetzer

Marina Wrackmeyer
Marina arbeitet hauptberuflich im KEP-Innendienst und nebenbei an der Übersetzung der WHE ins Deutsche. Sie liest und lernt gerne und ist besonders an Sprachen und Geschichte interessiert.

Autor

Joshua J. Mark
Joshua J. Mark ist Mitbegründer der WHE und ehemaliger Professor am Marist College in New York, wo er Geschichte, Philosophie, Literatur und Schreiben unterrichtet hat. Er ist weitgereist und hat in Griechenland und Deutschland gelebt.

Dieses Werk Zitieren

APA Stil

Mark, J. J. (2019, Juni 20). Geister im Mittelalter [Ghosts in the Middle Ages]. (M. Wrackmeyer, Übersetzer). World History Encyclopedia. Abgerufen auf https://www.worldhistory.org/trans/de/2-1404/geister-im-mittelalter/

Chicago Stil

Mark, Joshua J.. "Geister im Mittelalter." Übersetzt von Marina Wrackmeyer. World History Encyclopedia. Letzte Juni 20, 2019. https://www.worldhistory.org/trans/de/2-1404/geister-im-mittelalter/.

MLA Stil

Mark, Joshua J.. "Geister im Mittelalter." Übersetzt von Marina Wrackmeyer. World History Encyclopedia. World History Encyclopedia, 20 Jun 2019, https://www.worldhistory.org/article/1404/ghosts-in-the-middle-ages/. Internet. 28 Jun 2025.